
von FLORIAN PASTERNY
Es beginnt mit einer Wahl, die als Denkzettel gegen die etablierten Parteien gedacht war. Eine Protestbewegung, geboren aus Frust und Verunsicherung, verleiht einer Partei die Macht, die sich als Anti-System-Kraft inszeniert, jedoch in Wahrheit nichts weiter ist als ein ideologisches Relikt der Vergangenheit, maskiert in Phrasen von Souveränität und Volkserhebung. Die AfD ergreift die Kontrolle, und damit beginnt eine schleichende, aber unaufhaltsame Degeneration der Demokratie, ein Zerfall gesellschaftlicher Werte, der in seiner Konsequenz unheilvoller ist als jede Krise der Vergangenheit.
Die ersten Monate sind geprägt von einer perfiden Konsolidierung der Macht. Es sind keine offenen Putschisten, die den Staat unterwandern, sondern kühle Technokraten des Autoritären, die das System mit chirurgischer Präzision aushöhlen. Zunächst werden unliebsame Medien diffamiert – ein altbekannter Schachzug autoritärer Regime. Die öffentlich-rechtlichen Sender werden als „linke Agitatoren“ diffamiert und ihrer Finanzierungsgrundlage beraubt. Private Medien, die sich der neuen Marschrichtung widersetzen, erleben steuerliche Repressionen, Anzeigenboykotte und eine schleichende wirtschaftliche Strangulation. Statt investigativem Journalismus gibt es regimetreue Verlautbarungen, eine Flut aus revisionistischen Narrativen, die das Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft systematisch deformieren. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Propaganda verschwimmen, bis das Volk nicht mehr erkennt, was real ist und was inszeniert wurde.
Parallel dazu beginnt eine ideologische Umgestaltung der Justiz. Die obersten Gerichte werden mit regimetreuen Erfüllungsgehilfen besetzt, die nicht mehr dem Recht, sondern der Partei verpflichtet sind. Kritische Urteile gegen die Regierung? Bald ein Relikt der Vergangenheit. Klagen gegen diskriminierende Gesetze? Aussichtslos. Ein neuer Paragraphendschungel wächst heran, der dem repressiven Staatsapparat freie Hand gibt: Demonstrationen werden erschwert, Opposition kriminalisiert, NGOs als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt und aufgelöst. Die Polizei erhält erweiterte Befugnisse, inklusive einer „Sicherungshaft“ für „Gefährder“ – eine Vokabel, die sich zunehmend auf politische Dissidenten bezieht.
Während die politische Infrastruktur zerfällt, mutiert das gesellschaftliche Klima zur morbiden Karikatur einer längst überholt geglaubten Epoche. Pluralität wird nicht mehr als Stärke begriffen, sondern als Makel, als Bedrohung der „Volksgemeinschaft“. Migration wird nicht mehr nur reglementiert, sondern faktisch unterbunden. Geflüchtete werden nicht nur abgeschoben, sondern in medial inszenierten Massendeportationen als „nationale Reinigung“ gefeiert. Menschen, die seit Jahren hier leben, verlieren ihre Aufenthaltsgenehmigung – ihr Heimatgefühl wird ihnen systematisch entrissen, bis sie nichts mehr sind als Figuren in einem kalten, bürokratischen Exilationsapparat. Wer sich solidarisiert, riskiert Repressionen, denn auch die „Unterstützung illegaler Migration“ wird kriminalisiert.
Der wirtschaftliche Niedergang folgt auf dem Fuße. Investoren ziehen sich zurück, verschreckt von einer Regierung, die protektionistische Fieberträume mit ökonomischer Kompetenz verwechselt. Die Industrie leidet unter internationalen Sanktionen, während sich die einst florierende Exportnation immer tiefer in die wirtschaftliche Isolation manövriert. Der Fachkräftemangel eskaliert, weil die AfD nicht nur Zuwanderung stoppt, sondern auch einen Braindrain verursacht: Hochqualifizierte verlassen das Land, Universitäten verkommen zu ideologischen Kaderschmieden eines neuen Nationalismus. Forschungsgelder versiegen, weil Wissenschaft nur noch geduldet wird, wenn sie der politischen Agenda dient. Klimaforschung? Einst eine deutsche Vorreiterdisziplin, jetzt diskreditiert als „grüner Alarmismus“. Sozialwissenschaften? Ersetzt durch „patriotische Studien“, die nichts weiter sind als intellektuelle Nebelkerzen.
Die Bildungspolitik wird zur ideologischen Waffe. Lehrpläne werden umgeschrieben, bis die Geschichte sich nicht mehr als Mahnung, sondern als Glorifizierung nationaler Größe liest. Koloniale Verbrechen? Ignoriert. Die NS-Zeit? Ein bedauerlicher Betriebsunfall, aber kein Grund für fortwährende „Schuldkomplexe“. Kritisches Denken wird ersetzt durch „Wertevermittlung“, ein Euphemismus für ideologische Indoktrination.
Doch am brutalsten trifft es die Zivilgesellschaft. Feministische Bewegungen werden als „radikalfeministische Umerziehung“ stigmatisiert und aufgelöst. LGBTQ+-Rechte verschwinden schrittweise aus der Gesetzgebung, erst durch semantische Tricks, dann durch explizite Verbote. „Traditionelle Werte“ werden zum Dogma, bis Menschen, die nicht in das binäre Geschlechter- und Familienbild der neuen Ordnung passen, systematisch entrechtet werden. Hassverbrechen nehmen zu, Täter agieren in dem Wissen, dass der Staat längst auf ihrer Seite steht.
Auf den Straßen verändert sich das Bild. Bürgerwehren patrouillieren in Vierteln, die als „unrein“ gelten. Die Polizei greift nicht ein – denn die neuen Machthaber haben längst klargestellt, auf welcher Seite sie stehen. Die AfD-Regierung ist keine, die offen Lager baut oder Deportationszüge durch das Land schickt. Doch sie schafft eine Atmosphäre, in der die Bevölkerung selbst zur Exekutive wird, in der Hetze zur Pflicht und Denunziation zur Tugend wird. Die Gesellschaft beginnt, sich selbst zu zerstören.
Europa wendet sich ab. Deutschland, einst ein Eckpfeiler der europäischen Integration, ist nun das schwarze Loch der EU. Die Partnerstaaten isolieren das Land, Sanktionen folgen. Die AfD reagiert mit Trotz, mit nationalistischer Großsprecherei, die in ihrer Verzweiflung fast grotesk wirkt. Doch die Realität lässt sich nicht mit Parolen übertönen: Die Wirtschaft schrumpft, die Inflation steigt, Wohlstand wird zum Relikt der Vergangenheit. Doch wer aufbegehrt, wer protestiert, wird niedergeknüppelt – und so beginnt der Alltag der Menschen sich der neuen Realität anzupassen: Ducken, schweigen, anpassen.
Am Ende bleibt ein Land, das sich selbst amputiert hat. Eine Nation, die einst für Demokratie, für Wissenschaft, für Offenheit und Wohlstand stand – nun reduziert auf einen autoritären Reststaat, der sich in der eigenen ideologischen Sackgasse verloren hat. Ein Deutschland, das nicht mehr das Herz Europas ist, sondern eine kalte, verängstigte Ruine dessen, was es hätte sein können.
Und als der letzte kritische Denker verstummt, die letzte Zeitung kapituliert, das letzte Buch verbrannt wird, bleibt nur noch ein Echo in der Dunkelheit: Wie konnte das geschehen?
Florian Pasterny
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