von FLORIAN PASTERNY
Ja fuck, ich bin 40 geworden. Ich weiß, man sieht es mir nicht an - wirke ich doch physisch eher wie Anfang 20. Und dennoch musste ich mich im August dieser unbequemen Wahrheit stellen. Sie ist da. Die 40!
Das Jahr 2024 ist nun zu Ende, und mit ihm schließt sich ein weiteres Kapitel der Geschichte – ein Mosaik aus Ereignissen, Entscheidungen und unbeantworteten Fragen. Es ist eine Zeit der Reflexion, in der wir innehalten und die Spuren betrachten, die dieses Jahr hinterlassen hat. Doch was können wir jenseits von Schlagzeilen und Zahlen aus 2024 lernen? Welche philosophischen Einsichten birgt dieses Jahr?
Das Jahr 2024 hat uns einmal mehr daran erinnert, wie paradox die Temporalität ist. Einerseits vergeht sie unaufhaltsam, ein steter Fluss, der keine Pause kennt. Andererseits hinterlässt sie indelible Eindrücke – Momente, die in ihrer Intensität aus dem Strom hervorstechen. Sei es die Euphorie über eine persönliche Errungenschaft, die Melancholie über einen Verlust oder die kollektive Hoffnung angesichts globaler Herausforderungen: Diese Momente prägen uns, auch wenn sie ephemer sind. Vielleicht ist es genau diese Dialektik von Vergänglichkeit und Dauer, die das Leben so kostbar macht.
2024 war ein Jahr des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts – doch Fortschritt allein ist kein Selbstzweck. Die Diskurse über Künstliche Intelligenz, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit haben uns vor Augen geführt, dass jede Innovation auch eine ethische Dimension besitzt. Philosophen wie Hans Jonas haben uns gelehrt, dass unsere Verantwortung nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Zukunft gilt. Wie gehen wir mit der Potenz um, die uns Technologien verleihen? Nutzen wir sie, um die Welt gerechter und lebenswerter zu machen, oder lassen wir uns von kurzfristigen Interessen determinieren?
In einer Welt, die zunehmend von Kontingenzen geprägt ist, bleibt die Frage nach dem Sinn eine der drängendsten. Ob in der Philosophie, der Kunst oder den alltäglichen Begegnungen – 2024 hat gezeigt, dass der Sinn nicht etwas ist, das wir passiv empfangen, sondern etwas, das wir aktiv konstruieren. Viktor Frankl hat einst geschrieben: „Der Mensch ist jenes Wesen, das immer entscheidet, was es ist.“ Diese Einsicht scheint aktueller denn je. Sinn entsteht dort, wo wir Verantwortung übernehmen, wo wir Beziehungen kultivieren und wo wir uns mit etwas Transzendentalem verbinden.
2024 hat uns auch die Spannungen zwischen Individualität und Kollektivismus vor Augen geführt. Während die einen die Autonomie und Selbstverwirklichung des Einzelnen akzentuieren, rufen andere zur Solidarität und zum Gemeinsinn auf. Die Pandemie-Nachwirkungen, politische Polarisierungen und Umweltkatastrophen haben gezeigt, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Doch wie finden wir eine Balance zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Verantwortung für das Kollektiv? Vielleicht liegt die Antwort in der Idee einer „verbundenen Autonomie“ – einer Freiheit, die nicht auf Kosten anderer geht, sondern sie inkludiert.
Am Ende stehen wir an einer Weggabelung. Die Zukunft ist kontingent, doch genau darin liegt ihre Potenzialität. Jedes Ende birgt einen Anfang, und jede Krise eine Möglichkeit zur Transformation. Wenn wir eines aus diesem Jahr mitnehmen können, dann vielleicht die Einsicht, dass die Welt nicht einfach „sein“ muss, wie sie ist. Sie ist gestaltbar, formbar – durch unsere Gedanken, unsere Worte und unsere Taten.
Auf persönlicher Ebene war 2024 für mich ein Jahr der besonderen Begegnungen. Ich habe außergewöhnliche Menschen kennengelernt, die, mit den Menschen die bisher da waren, mein Leben auf eine Weise bereichert haben, die ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Sie haben mich zu einem stückweit besseren Menschen gemacht. Egal ob die Eindrücke und Einflüsse positiver oder negativer Natur waren. Denn der Weg zu einem besseren Menschen ist untrennbar mit der Entwicklung eines ausgeprägten moralischen Kompasses verbunden. Dieser Kompass, der als innerer Ratgeber fungiert, kann als epistemologische Instanz betrachtet werden, die uns in die Lage versetzt, ethische Dilemmata zu navigieren. Die Frage, wie man diesen Kompass schärfen kann, ist nicht nur eine des praktischen Lebens, sondern auch eine tiefgründige ontologische und axiomatische Fragestellung, die das Wesen des menschlichen Handelns betrifft.
Zunächst einmal ist es wichtig, die Bedeutung von Autonomie und Reflexion zu betonen. Der Mensch muss sich aus der Heteronomie befreien, also der Abhängigkeit von äußeren Autoritäten, und in die Lage versetzt werden, Entscheidungen nach einem inneren Prinzipienkatalog zu treffen. Dabei ist die Kritische Philosophie von Immanuel Kant von zentraler Bedeutung, da sie uns lehrt, dass moralisches Handeln nicht nur auf äußeren Konsequenzen basiert, sondern auf dem kategorischen Imperativ – dem Prinzip, nach dem man nur so handeln soll, wie es auch eine allgemeine Maxime für alle Menschen sein könnte. Hierdurch wird der moralische Kompass nicht nur zu einem persönlichen, sondern zu einem universellen Maßstab.
Darüber hinaus sollte man die Bedeutung der Empathie als moralische Tugend hervorheben. Empathie ist der Schlüssel, um das Mitgefühl für das Leiden anderer zu entwickeln und in Entscheidungen moralisch verantwortungsvoll zu handeln. Der Begriff des „Mitgefühls“ in der philosophischen Tradition von Aristoteles und später in der modernen Ethik erinnert uns daran, dass ein guter Mensch nicht nur aus der Perspektive der eigenen Wünsche handelt, sondern sich in die Lage anderer versetzt und ihr Wohl als gleichwertig anerkennt. Und ja, ich weiß, Empathie fehlt mir sehr oft. Ich kann mich so schwer in andere hineinversetzen und habe manchmal das Gefühl innerlich zu Scheitern, wenn es solcher menschlicher Regung bedarf. Und wenn ich es dann doch schaffe, dass Empathie Teil meines menschlichen Wesens wird, merke ich, dass die bloße Empathie nicht ausreicht. Ein wahrhaft moralischer Kompass erfordert auch Vernunft und Prudenz, die klassischen Tugenden der praktischen Weisheit. Diese sind unabdingbar, um die richtige Balance zwischen den verschiedenen, oft widersprüchlichen, moralischen Forderungen zu finden. Die Eudaimonie, das Konzept des „guten Lebens“ bei Aristoteles, verdeutlicht, dass der moralische Mensch nicht nur aus der bloßen Erfüllung von Pflichten lebt, sondern aus der Sorge um das Wohl des Anderen und der inneren Harmonie zwischen seinen ethischen Überzeugungen und Handlungen. Selbstreflexion, Empathie, Vernunft und die Fähigkeit, sich in die Perspektive anderer zu versetzen - das sind Punkte, über die ich noch mehr nachdenken muss, und die 2025 große Begleiter meiner Persönlichkeitsentwicklung sein müssen. Meine persönliche Entwicklung erfordert die ständige Auseinandersetzung mit den fundamentalen ethischen Prinzipien, die unser Handeln leiten, sowie die Bereitschaft, Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft als Ganzes zu übernehmen.
Aber auch beruflich habe ich neue Herausforderungen gefunden, die mich erfüllen. Ich bin dankbar, in einem inspirierenden Umfeld zu arbeiten, mit Kollegen, die nicht nur kompetent, sondern auch herzlich und unterstützend sind. Diese neuen Aufgaben haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich weiterzuentwickeln und in einem Team zu sein, das gemeinsam Großes erreichen möchte.
Besonders wichtig war für mich im Jahr 2024 mein Engagement gegen rechtsradikale Ideologien, die AfD und antisemitische Strömungen. Es war ein Jahr, in dem ich entschlossen für Demokratie, Toleranz und den Schutz der Rechte aller Menschen eingetreten bin. Dieser Kampf bleibt nicht ohne Widerstände, doch er gibt mir die Gewissheit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. 2025 werde ich mit unverändertem Mut und neuer Energie weiter für diese Werte kämpfen, getragen von der Hoffnung auf eine gerechtere und vor allem friedliche Welt.
Mögen wir die Lektionen von 2024 internalisieren und 2025 mit einem offenen Herzen und einem klaren Geist begegnen. Die Philosophie lehrt uns, dass jede Frage, die wir stellen, ein Ausgangspunkt ist. Lassen wir uns also nicht vom Vergangenen erdrücken, sondern inspirieren – und blicken wir nach vorne, mit der Gewissheit, dass wir Teil eines größeren Kosmos sind.
Florian Pasterny