Ist die Monogamie noch zeitgemäß? Ein Plädoyer für offene Beziehungen

 

von FLORIAN PASTERNY

 

Eine Partnerschaft oder Ehe sollte, wenn möglich, ein Leben lang halten. So lebten uns Oma und Opa dieses Beziehungskonstrukt jedenfalls vor. In der Gegenwart angekommen sieht dies aber mittlerweile ganz anders aus. Jede dritte Ehe wird geschieden und die meisten Beziehungen enden nach 4 Jahren - der häufigste Grund für Trennungen ist die Untreue. Sind Polyamorie oder eine offene Beziehung die Lösung?

 

Immer mehr Menschen reden offen über ihre Sexualität, ihre Wünsche und ihre Partnerschaften. Beziehungsforen haben Hochkonjunktur und immer wieder geistern die Begriffe Polyamorie und offene Beziehung durch die Weiten der Partnerschaftsberatung. Gerade das Internet hat der Sexualität einen großen Dienst erwiesen. Denn konkret bedeutet das, dass Frauen heute die finanzielle Freiheit haben, um über Beziehungen selbst zu entscheiden. Das Internet verbindet darüber hinaus Menschen mit gleichen erotischen Vorlieben im Nu und wir als Menschen leben heute viel länger. Dadurch ist die offene Beziehung mittlerweile insgeheim der Wunsch vieler Paare. Anders sieht es hingegen bei der Polyamorie aus, weshalb diese hier nur am Rand Erwähnung finden soll. Polyamorie heißt, dass Frau/Mann mit mehreren Partnern in einer fest verbundenen Partnerschaft vereint ist. Ob sich nun gegenüber sexuell treu oder offen – das bestimmen die Parteien untereinander. In dem Fall ja mindestens mehr als zwei Partner.

 Kommen wir wieder zur offenen Beziehung – zu einer offenen Auseinandersetzung mit sich selbst. Wir alle haben von unseren Eltern und von der Gesellschaft Werte und Vorstellung vermittelt bekommen, die man einfach als gegeben hingenommen hat. Der erste Schritt im Denken muss sein, dass es mehr gibt als Monogamie. Und im Zuge mehrerer Prozesse des Reflektierens sollte uns klar sein, dass wir dazu gemacht sind, Dinge verändern zu können. Denn was passiert, wenn ich einen Menschen kennenlerne? Ich spüre eine intellektuelle, eine körperliche und eine emotionale Anziehung. In einer monogamen Beziehung wird die körperliche Anziehung irgendwann abnehmen. Das ist ein ganz normaler Prozess, denn nichts macht uns mehr an als der Reiz des Neuen. Nun stehen wir also in einer monogamen Beziehung vor dem Dilemma. Intellektuelle und emotionale Anziehung sind vorhanden, die emotionale Treue also gegeben. Die sexuelle Anziehung schwindet und geht irgendwann gänzlich verloren. Bleibt man nun treu, wird über kurz oder lang die Sexualität extrem leiden und wie eine Rose verwelken. Geht man fremd, dann hat die emotionale Treue riesige Risse erhalten, da dies nicht ohne Vertrauensverlust vonstattengehen wird.

 Welche Möglichkeit hat man nun?

 

Ist man ehrlich zu sich selbst, dann wird man feststellen, dass eine offene Beziehung von Anfang an die bessere Alternative zur monogamen Beziehung wäre. Denn hier werden die emotionale Treue, das Urvertrauen und die Liebe nicht in Angriff genommen. Hier muss sich der Partner nicht mit Eifersucht, Untreue und verletzter Eitelkeit herumschlagen. Wenn die Grundpfeiler der Beziehung passen, Loyalität, Respekt und Liebe, dann darf und sollte die Sexualität mit anderen Menschen kein Tabu mehr sein.

 

Diana (35) aus München ist genau für so eine Beziehung zu haben. Doch sie hat das Problem, dass jeder „Kerl der einzige Löwe im Rudel“ sein möchte. „Den richtigen Mann genau dafür zu finden ist schwer“, sagt sie und betont gleichzeitig, dass „der Mensch nicht geschaffen ist für eine monogame Beziehung. Wir haben es einfach noch nicht verstanden.“ Und genau das ist dieser Paradigmenwechsel, der sich vollziehen muss. Das Narrativ zu glauben, dass es keine Männer oder Frauen gibt, die so denken, ist falsch. Man braucht einfach nur den Anstoß, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Das eigene Handeln muss hinterfragt und alte Beziehungen vielleicht noch mal hervorgeholt werden, um genau zu schauen, woran die Beziehungen gescheitert sind.

 Natürlich wird es Menschen geben, die mit diesem Beziehungsmodell gänzlich nicht zurechtkommen würden. Aber warum eigentlich nicht? Jessica (35) aus Heinsberg hat Angst um ihr Ego: „Ich würde mich immer fragen, ob ich alleine nicht genüge oder ausreiche. Es würde schon sehr an meinem Ego kratzen.“ Aber was genau wäre die Alternative? Auch für Jasmin (37) aus Bremerhaven ist so ein Beziehungsmodell nichts. „Ich könnte nicht damit leben, dass mein Partner mit jemanden anderen sexuell aktiv ist, muss aber dazu sagen, dass ich in meiner Vergangenheit so oft betrogen worden bin und es mir deswegen einfach nicht vorstellen kann.“ Und genau hier liegt das Problem. Die eigene Vorstellungskraft reicht nicht aus. Und ohne es vorher probiert zu haben, lehnt man dieses Lebensmodell ab. Auch Thorsten (25) aus Wegberg bezeichnet die offene Beziehung „als Schmutz.“ Er hält an der traditionellen Werteermittlung fest und sieht für sich „keinen Gebrauch einer solchen Form der Beziehungsführung.“ Doch was ist so ein Gebrauch? Wohin steuern wir als Gesellschaft, wenn wir uns immer wieder von unseren Partnern trennen, wenn Ehen scheitern und Kinder in zwei Haushalten aufwachsen, nur weil die Sexualität nicht funktioniert hat. Eine offene Beziehung kann eine Beziehung retten. Aber nicht, wenn es schon zu spät ist. Sondern von Beginn an. Oder zumindest von dem Zeitpunkt an, an dem sich beide Partner einig sind, dass dies der bessere Weg wäre.

 

 

 

 

 

 

Ich würde mich immer fragen, ob ich alleine nicht genüge oder ausreiche. Es würde schon sehr an meinem Ego kratzen.“

Jessica (35)

 


 Was kann eine offene Beziehung?

 

Sie bringt zwei gegenläufige Strömungen zusammen. Zum einen werden Vertrauen und Treue wieder hoch gehandelt und zum anderen diskutieren Evolutionsforscher, ob der Mensch monogam gemacht ist, weil unsere Vorfahren wohl nicht nur Höhle und Mammut, sondern auch die Partner teilten. Selbst bei den Primaten und Säugetieren sind nur 3 bis 5 Prozent der Arten treu. Beleg für die Wirkung der Steinzeit-DNA: Es wird fremdgegangen, und zwar in jeder zweiten Beziehung. "Das heutige Treuemodell 'Alles mit einem für immer' gibt es noch gar nicht so lange", kommentiert Psychologe Holger Lendt aus Hamburg. „Die Liebe basiert auf Ehrlichkeit zueinander, nicht auf Exklusivität“, erklärt darüber hinaus Sexkolumnist Dan Savage aus Seattle, der dem Trend den Namen gab: „monogamish“, was man mit „quasi monogam“ oder „ziemlich treu“ übersetzen kann, also eine ziemlich offene Beziehung.

 Es geht hier gar nicht darum aufzuzeigen, dass Menschen in einer offenen Beziehung herumvögeln wollen oder sich Freiheiten zugestehen, die sie anderen nicht aneignen wollen. Genau das Gegenteil ist der Fall: einen respektvollen Umgang miteinander, Treue, Liebe und Loyalität wieder an die erste Stelle gesetzt. Und der Sex? Rausgehen, den Reiz des Neuen erleben und einfach machen.

 

Florian Pasterny